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Master of Miau

Lange bevor Social Media von #catcontent überflutet wurde, entdeckte Walter Chandoha das fotogene Potenzial von Katzen durch eine schicksalhafte Begegnung im Schnee. Dass der ehemalige Marketing-Student einst zum „Godfather of Catphotography“ werden würde, ahnte damals niemand. Ein Buch aus dem Taschen-Verlag dokumentiert nun seine feline Pionierarbeit in Wort und wundervollen Bildern.

Auf dem Heimweg in seine Dreizimmerwohnung in Astoria, Queens, blieb der 28-jährige Walter (1920–2019) verdutzt stehen, als er ein zitterndes, graues Kätzchen im Schnee entdeckte. Mitfühlend packte er es und trug das Fellknäuel in seiner Manteltasche nach Hause zu seiner Frau, Maria Ratti. Den Kampf versus die Kälte gewonnen, begann die Mieze nun, gegen ihr eigenes Spiegelbild anzutreten und flitzte nachts wie besessen durch die Wohnung. Angetan von der Verrücktheit des neuen flauschigen Familienmitglieds, beschloß das Paar das Kitten „Loco“ zu nennen und versuchte fortan, seine Wildheit mit einer Kamera einzufangen – mit Erfolg! Schließlich hatte der kleine Walt bereits in seiner Kindheit leidenschaftlich gern mit der Familienkamera Momente festgehalten.

Fotograf und Pfote in Aktion in Chandohas Studio in Long Island, 1955.
© 2019 Walter Chandoha

Schnell verkauften sich die außergewöhnlichen Samtpfoten-Fotos an Tageszeitungen und Magazine (u.a. Life und National Geographic ) in der ganzen Welt. Chandohas neue Muse und die damit gewonnene Leidenschaft für Tierporträts bestimmten von nun an den weiteren Verlauf seiner Karriere, die er als Werbe- und Kriegsfotograf begonnen hatte.

Für zwei Jahre akzeptierten seine Frau und er trotz Nachwuchs (insgesamt 4 Töchter und einen Sohn) ein finanziell unbeständiges Leben, das sie erst in Queens, New York, und dann auf einer Farm in Annandale, New Jersey, führten. Das Ehepaar bewirtschaftete dort einen Garten und hielt sich so auch in schwierigen Lagen über Wasser. Mit seinem wachsenden Wissen und außergewöhnlichen Talent für Fotografie, publizierte Walter neben den Cats eine Reihe von Artikeln rund um das Thema Garten, u.a. in der New York Times.

Schwarz-weiße Streetstyle-Fotografie zum Schnurren – lange vor „Likes“ und Hashtags:
New York, 1950. © 2019 Walter Chandoha

Seine Passion waren und blieben jedoch die kleinen Panther. Er perfektionierte sein Handwerk in über sieben Jahrzehnten Katzenfotografie. Manchmal dauerte es 10 Minuten, manchmal auch zwei Tage, bis er genau den Moment einfing, den er haben wollte. Anders als bei den meisten spontan geschossenen Fotos, die man heute im Netz findet, inszenierte Chandoha seine Stubentiger mit großem Aufwand. Er entwickelte eine ganz eigene Bildsprache, die von seiner Ausbildung in der Werbebranche profitierte und geprägt wurde. Durch seine einmalige Ästhetik avancierte er für Generationen zum Vorbild in der Tierporträtkunst.

Meisterhaft in Szene gesprungen: Muse Loco, 1951.
© 2019 Walter Chandoha

Chandohas Aufnahmen bringen nahezu jedes einzelne, abstehende Haar zum Vorschein. Glamouröse Hintergrundbeleuchtungen akzentuieren die Silhouette der felligen Geschöpfe. In klaren, zum Teil knalligen Farben werden außergewöhnliche Szenen festgehalten und spiegeln die vielfältigen Charaktereigenschaften der Katzen auf besondere Weise wieder – und inspirierten sogar andere Künstler wie Andy Warhol.

Vier freudige Trenchcoat-Träger*innen vor dem „Fabulous Felines“ Pet Store in New York City, 1961.
© 2019 Walter Chandoha

Von Werbeanzeigen über Grußkarten bis hin zu Puzzles in Tierfutter-Verpackungen – die Zuneigung zu seinen fluffy Friends kann man auf jedem seiner Fotos erkennen. Sie lösen bis heute größte Begeisterung unter Katzenfreunden aus. Mit über 30 Büchern, 300 Magazin-Titeln, tausenden von Werbeanzeigen, Plakaten, T-Shirts und dem riesigen Kodak-Colorama im New Yorker Bahnhof Grand Central Station, gilt Chandoha als einer der herausragendsten Katzen-Künstler unserer Zeit.

Lieblingsmotiv Mieze „Loco“ wird wieder und wieder von Walter Chandohas Linse eingefangen. Queens, 1951. © 2019 Walter Chandoha

Das Buch „Cats. Photographs 1942–2018. Walter Chandoha“ verschafft einen umfangreichen Einblick in sein Lebenswerk, das ein ganzes Genre definiert hat. Mit farbigen Atelier- und Außenaufnahmen, schwarz-weißer Streetstyle-Fofografie, Bildern von alten Katzenschauen und vielem mehr streichelt das Buch Herz und Seele eines jeden Catlovers. Gleichzeitig ist es eine Hommage an einen Mann, der es geschafft hat, auch schwierige Zeiten zu überwinden, indem er der Glückseligkeit folgte, die er verspürte, wenn er Miezen vor der Linse hatte. Ohne die Hilfe seiner Frau, die zugleich Sekretärin, Kreativdirektorin, Assistentin und Katzenbändigerin für ihn war, hätte er es niemals geschafft, als Katzenfotograf erfolgreich zu werden, erzählt er später in einem Interview. Paws up für dieses außergewöhnliche Power-Team!

Musthave-Buch für alle Katzenfans:
Walter Chandoha. Cats.
Photographs 1942–2018
Hardcover, 23,7 x 31,6 cm,
304 Seiten, um 40 Euro.

© Fotos: Taschen-Verlag. Der Header zeigt Chandohas Tochter Paula samt Kätzchen auf der Schulter. Es gilt als das bekannteste Werk des Fotografen und ist von all seinen Aufnahmen am zufälligsten entstanden.

Text: Michelle Zerkler


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