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Augenblicke

Die 89-jährige Regie-Ikone Agnès Varda und der 33-jährige Streetart-Künstler JR machen sich in der Dokumentation „Augenblicke – Gesichter einer Reise“ mit einem einzigartigen Fotomobil auf, um Frankreichs Menschen samt ihrer Geschichten zu entdecken und zu verewigen – in Form von überlebensgroßen Porträts an Fassaden, Zügen oder Schiffscontainern. Von der Provence bis zur Normandie widmen sie ihre Kunst Personen, die sonst eher im Hintergrund agieren.

Nouvelle-Vague-Legende Agnès Varda und Fotograf JR verbindet nicht nur ihre Leidenschaft für Bilder, sondern auch ein feines Gespür für Menschen und eine Art Poesie des Moments. Sei es ein alter Briefträger, ein Fabrikarbeiter oder die letzte Bewohnerin eines Straßenzugs im ehemaligen Bergbaugebiet – die beiden suchen sich auf ihrer Reise stille Helden aus, die sie einfach so oder in ihrem Fotomobil ablichten, um ihre Konterfeis überdimensional groß an Fassaden jeglicher Art zu plakatieren. Dadurch verwandeln sich Oberflächen zu Bühnen, von denen die aufgeklebten Gesichter vergessene Geschichten erzählen. Eine schüchterne Saison-Kellnerin wird dadurch der Star eines kleinen Dorfes und sogar auf Instagram bekannt, da alle Touristen Fotos von ihrem Bild an einer großen Häuserwand machen.

Der Film ist eine Anreihung von Begegnungen voller Herzlichkeit und Humor. Agnès Varda ist zu Beginn genervt über die Tatsache, dass JR immer und überall seine Sonnenbrille und den Hut tragen muss. Daraufhin frotzelt er über ihre zweifarbige Frisur. Die beiden begegnen sich von Anfang an mit Respekt, aber ohne lähmende Ehrfurcht voreinander. Ist Madame V zu Beginn vielleicht noch etwas distanziert dem 56 Jahre jüngeren Street-Artisten gegenüber, entwickelt sich im Laufe der diesjährig Oskar nominierten Dokumentation eine besondere Bindung, die kein Alter kennt. Augenblicke – Gesichter einer Reise ist anrührend, ohne kitschig zu sein. Meine Lieblingssequenz der Doku ist der Part, bei dem JR die Augen von Agnès Varda fotografiert und damit Zug-Waggons und Anhänger plakatiert, die durch das ganze Land fahren. Sie kann schon seit einiger Zeit nicht mehr so gut sehen und nimmt ihre Umwelt zunehmend verschwommener wahr. So ermöglicht er ihr, die Welt auf diese Weise weiterhin betrachten zu können.

Ich habe die beiden sehr gern auf ihrer gemeinsamen Foto-Tour durch Frankreich begleitet und beobachtet. Zumal es auch einige kurze Szenen aus dem Heim der gebürtigen Belgierin zusammen mit ihrer Mieze zu sehen gibt und kurze, dafür intensive Konfrontationen mit Personen aus Vardas Vergangenheit, wie zum Beispiel mit Fotografie-Urgestein Guy Bourdin. Die gelungene, leise Dokumentation kommt morgen in die Kinos. Deshalb bleibt mir nur noch zu vermiezen: Anschauen und gute Reise!

© Trailer: „Augenblicke – Gesichter einer Reise“, Weltkino Filmverleih, Fotos: Agnès Varda-JR-Ciné-Tamaris, Social Animals 2016


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